Fest genug gegurtet?

Der Reiter sattelt das Pferd und gurtet an. Dann kommt die Trense drauf und es wird nachgegurtet. In der Halle führt der Reiter das Pferd ein Stück und gurtet nach. An der Aufstiegshilfe, bevor man aufsitzt, wird nachgegurtet. Nach dem Aufsitzen wird nachgegurtet. Nun wird das Pferd ein paar Runden Schritt geritten und dann wird nachgegurtet. Und zu guter Letzt kommt der Reitlehrer und gurtet nochmal nach um sicher zu gehen, dass Du ordentlich gegurtet hast.

Wie fest ist fest genug? Reiten ist ein Balanceakt. Wir haben zwei Körper die in Zusammenarbeit mit einem dritten Teil, dem Sattel, einen Tanz vorführen wollen. In alle Richtungen und Gangarten. Was ist, wenn der Gurt aber das Pferd behindert? Als Sattler habe ich viele Pferde mit Gurtzwang. Aus verschiedenen Gründen! Ein großer Grund ist aber das Gurten in sich. Zu schnell und oder zu fest! Muss das wirklich sein?

Wir haben Damen, Frauen, Männer, Kerle und alle Sorten Gender, Gewichte und Formen. Diese Varianten von verschiedenen Massen, wollen sich gerne auf irgend eine Art und Weise auf dem Pferderücken halten wollen. Mit dem Alter, verlieren wir aber an Stabilität, Balance und Haltbarkeit. Die Stabilität und Balance ist recht wichtig um uns oben zu halten und die Haltbarkeit ist der entscheidende Faktor, wie lange wir im Krankenhaus liegen müssen, nachdem die Stabilität und die Balance nicht ausreichend Unterstützung gewährleistet hat! Auch wenn wir uns dessen vielleicht nicht richtig bewusst sind, ist es ständig dabei im Unterbewusstsein und wir agieren dementsprechend. Es muss nicht unbedingt Angst vor dem Reiten oder dem Pferd sein. Es reicht, dass wir Angst vor dem Abfallen haben. Mit 65 klettre ich nicht mehr auf Bäume, kann mir aber sehr wohl denken, zu reiten. Höchst Wahrscheinlich ist der Baum sicherer als das Pferd und trotzdem würde ich eher reiten als klettern. Wir bilden uns ein, dass das Pferd gut erzogen und sicher ist. Viele reden von einer Lebensversicherung, wenn sie über ihr Pferd reden. Und trotzdem reitet das Unterbewusstsein mit und dieses Unterbewusstsein macht, dass wir noch ein Loch nachgurten und noch ein Loch und noch eins!

Nicht nur die Angst macht, dass wir unbewusst so fest gurten. Auch praktische Gründe können uns dazu bewegen fester zu gurten, warum viele Reiter, viel zu fest gurten. Und zwar weil der Sattel
1. nach vorne rutscht
2. nach hinten rutscht
3. nur nach links rutscht
4. nur nach rechts rutscht
5. nach rechts und nach links rutscht
6. auf dem Pferd schaukelt
7. hinten springt
8. laut Reitlehrer fester gegurtet sein muss
Leider kann ich durch festeres Gurten, keines dieser Probleme beheben. Eventuell eher verstärken! Mit ein bisschen Pech wird es zeitweise besser, nur wird sich das Pferd den Begebenheiten körperlich anpassen. Resultate sind dann letztendlich atrophierte Muskulatur, falsche Haltung, bis hin zu so gravierende Problemen wie Trageerschöpfung und Gurtzwang, mit aggressivem Verhalten zur Folge.

Diese Probleme können durch den Sattel, aber auch durch den Reiter oder durch das Pferd verursacht werden. Die Gurtung kann den Sattel nach vorne oder nach hinten ziehen. Der Reiter kann durch einen falschen Sitz, falsche Reitweise oder falschen Sattel, den Sattel verschieben. Der Körperbau und die Bewegung des Pferdes, kann das rutschen in alle Richtungen verursachen. Nur behebt das festere Gurten nur selten diese Probleme. In erster Hand muss man sich dieser Probleme erst einmal Bewusst werden. Wo liegt das Problem? Welches Problem haben wir überhaupt? Wer kann mir da eigentlich helfen? Und vor allem, behebe ich meine Probleme oder erschaffe ich Neue? Festes und schnelles Gurten verursacht, wie schon erwähnt, auch gerne Gurtzwang. Aber auch Scheuerstellen können durch zu festes Gurten verursacht werden. Außerdem können wir die Atmung beeinträchtigen welches in der Verlängerung auch die Prestation des Pferdes beeinträchtigen kann.

Wie fest wir auch gurten, hat das Reitergewicht auch was damit zu tun. Jetzt nicht im Sinne, wie viel man wiegen darf oder maximal sollte. Nein, im Sinne von nachgurten. Ich werde tagtäglich darauf angesprochen, dass der Sattel vorne am Widerrist zu eng in der Kammer ist. Ich weiß auch, dass viele „Sattler“ die Kammer dann weiten und alles ist super. Lasst uns annehmen, dass die Kammer die richtige Weite hat und trotzdem ist es für den Reiter zu Eng an der Schulter! Viele beklagen sich hierbei über die Strupfenführung und zu viel Zug auf das Kopfeisen. Der Sattel wird durch die Gurtung zu sehr in den Trapezius gezogen. Anfänglich stimmt das, aber wenn das Reitergewicht in den Sattel kommt, hat es nichts mehr mit dem Gurten zu tun.

Wenn das Reitergewicht in den Sattel kommt, drückt es den Sattel in das Pferd. Wenn das Pferd dann los läuft, keilt sich der Sattel vermehrt in den Trapezius. Löse ich den Gurt nach einer Zeit reiten, wird der Druck nicht weniger. Der Sattel sitzt fest am Trapezius. Erst wenn ich absteige, löst sich der Druck. So das Gurten ist nur eine Kopfsache. Viele meiner Kollegen in USA sind mit schlackernden Gurten geritten. Erst wenn das Lasso benutzt werden sollte oder wir in die Berge geritten sind, haben sie nachgegurtet.

Und wie soll der Sattel eigentlich seitlich von den Pferden rutschen? Bei den Widerristen, die die meisten Pferde heutzutage ja doch haben? Die Dornfortsätze am Widerrist sind bis zu 25 cm lang. Der Sattel müsste mindestens 10 cm hoch kommen, um über den Widerrist rutschen zu können. Und dann haben wir das Gegenteil, die Tonne! Wie fest kann ich einen Sattel auf einer Tonne gurten, die gar keinen Widerrist hat, sprich Kaltblüter zum Beispiel? Die Haut und das Fett sind in sich schon beweglich. Wie soll ich da bitte einen Sattel absolut fest kriegen. Auch wenn ich mit Umlenkrollen oder Gurtspanner arbeite, wird der Sattel trotzdem rutschen, wenn der Reiter nicht ausbalanciert ist.

Sehr oft hat es gar nichts damit zu tun, wie fest ich gurte, sondern eher wie gurte ich überhaupt und mit was! Persönlich bin ich der Ansicht, dass man so fest gurten sollte, dass ich aufsteigen kann und dass der Gurt nicht unter dem Pferd schlackert. Wenn ich ausreite, möchte ich den Gurt so fest, dass ich keinen Ast oder irgend etwas anderes zwischen meinen Gurt und meinem Pferd kriegen kann. Das reicht vollkommen. Mein Körpergewicht und meine Balance machen den Rest.

Ich habe es sicher schonmal gesagt und ich werde mich sicher in Zukunft auch wiederholen: Es gibt keine eine Wahrheit oder Lösung! Es kommt immer auf die Kombination Pferd – Reiter – Sattel an und wir haben zich Formen an Pferden, zich Formen an Reiter und zich Formen an Sättel. Jede Pferd – Reiter – Sattel – Kombination bedarf individueller Lösungen. Bei einigen findet man eine simplere Lösung als bei anderen. Vielleicht funktioniert etwas gut eine Weile und dann verändert sich das Pferd oder/und der Reiter!

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