Sattler? Warum?

Mit den Jahren und der industriellen Entwicklung, verschwinden mehr und mehr Handwerke. An und für sich, ist dies keine neue Entwicklung, sondern geschieht schon seit hunderten von Jahren. Handwerksberufe werden von industrieller Herstellung ersetzt und mit der Zeit, verschwinden sie komplett. Wer braucht das Handwerk schon? Es ist deutlich einfacher sich neue Sachen zu kaufen, als alte Sachen reparieren zu lassen. Und es ist ja so teuer, das Kaputte reparieren zu lassen. Eine Trense für 95:- € lohnt sich nicht für 50:- € reparieren zu lassen. Dann lieber eine Neue für 95:- €

Seit 2000 bin ich unterwegs als „Sattler“, nur durfte ich mich nicht Sattler nennen, da ich nicht in Deutschland oder Österreich ausgebildet war. Zu der Zeit ging ich unter dem Pseudonym „Problemlöser“. Da ich in einem Reitsportfachgeschäft angestellt war, spielte das keine Rolle und ich schaffte es, mir einen Kundenstamm auf zu bauen. Ein paar Jahre später, wurden die Handwerksrollen geändert und unter anderem wurde der Sattlerberuf frei gegeben und jedermann durfte sich Sattler nennen, der irgend etwas mit Sätteln und Leder zu schaffen hatte.

Zu der Zeit freute ich mich und nahm die Gelegenheit in Acht und lies mich bei der Handwerkskammer als Sattler eintragen. Nun durfte ich mich offiziell Sattler nennen. Einige Jahre später, 2013, wurde ich von der Handwerkskammer angefragt, ob ich nicht auch ausbilden möchte und stolz wie Bolle, bestand ich auch meine Prüfung. Nun war ich plötzlich nicht nur ein Sattler. Nein! Nun war ich auch Ausbilder. Ich durfte jetzt auch mein Wissen weiter geben und helfen, dass das Handwerk nicht ausstirbt.

Mit den Jahren habe ich aber gemerkt, dass was mir geholfen hat, mich Sattler zu nennen, hat auch anderen geholfen, sich Sattler zu nennen. Dies im guten aber auch im schlechten Sinne. Jeder der Sättel verkauft, der Sättel vermisst, der Sättel anpasst oder der irgend etwas mit Sättel macht, darf sich Sattler nennen. Was mich damals erfreut hat, dass ich mich Sattler nennen durfte, macht mir heute Angst, dass der Beruf verschwinden wird. Es hat den Anschein gegeben, dass man als Sattler schnelles Geld verdienen kann, wenn man Sättel verkauft. Sättel werden aber nicht in erster Hand vom Sattler verkauft, sondern vom Händler.

Nun ist es aber so, dass nicht alle Sättel vom Sattler gebaut werden. Die industrielle Entwicklung hat dieses Bild definitiv verändert. In einer Sattelfabrik sind, wenn überhaupt, wenige Meister, Gesellen oder Lehrlinge am Werk. Ausnahmen bestätigen die Regel. Bei einer industriellen Herstellung, muss nämlich gar kein Sattler angestellt sein. Auch dies wirkt dazu bei, dass weniger ausgebildete Sattler sich selbstständig machen.

Aber was spielt das für Rolle, ob es Sattler gibt oder nicht? Ich brauche doch keinen Sattler um mir einen Sattel zu kaufen, soweit ich mir nicht einen maß angefertigten Sattel kaufen möchte. Und die Frage ist wohl oder übel auch berechtigt, soweit ich nur einen Sattel kaufen möchte. Was aber, wenn was kaputt geht und jetzt meine ich nicht nur am Sattel. Zaumzeug, Halfter, Zügel, Geschirr und vieles mehr, wird normaler Weise vom Sattler repariert. Wer soll das machen. wenn der Sattler verschwindet?

In Schleswig-Holstein haben wir noch, wenn es hoch kommt, fünf oder sechs Sattlermeister mit Schwerpunkt Reitsport und einen Ausbilder (ich bin ja kein Meister). Alle sind kleine Betriebe, die in, lass mich raten, drei Fällen noch Sättel selber bauen und nicht nur im Ausland bauen lassen. Auch dies hat, genauso wie die Industrialisierung, negative Einwirkung auf den Bestand der aktiven Sattler. So wer soll in Zukunft die kaputte Trense oder Halfter reparieren. Wer baut mir den Sattel um und da meine ich nicht nur die Polsterung anpassen oder Strupfen/Strippen tauschen? Wer baut mir ein neues Kopfeisen in den Sattel oder tauscht eine gebrochene Federstahlschiene aus? Wer näht mir das Blatt wieder zusammen oder baut mir einen zweiten hinteren Vorstoß (zweiter Rückstoß, wie ich das nenne) ein? Wer flickt mir mein Geschirr oder repariert mir den Kumt? Wer macht mir die Trense passend oder baut mir eine neue Trense und/oder repariert eine?

Es geht hier nicht um ein Handwerk, das verloren geht, sondern um das Wissen, was in diesem Handwerk liegt. Auch wenn die „Ergonomischen Sattelanpasser“ und „Osteopathischen Sattler“ einen Sattel anpassen können, sprich Kammer ändern und Polstermasse nachfüllen können, haben sie in den meisten Fällen überhaupt keine Ahnung, was für Materialien eigentlich in einem Sattel verbaut sind. Was sind die Vor- und Nachteile verschiedener Bäume und deren Aufbau? Wie beeinträchtigen und wie verhalten sich verschieden Füllmaterialien? Was ist der Vorteil von Wolle und wo liegen die Nachteile bei Watte? Was geschieht, wenn ein Lederfederbaum in der Kammer verändert wird und was geschieht bei einem Glasfieberbaum? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Kunststoffbaum und einem Glasfieberbaum? Wie kommt es sich, dass ein Sattel weicher ist als ein anderer? Viele dieser Fragen sind für den Kunden an und für sich total uninteressant. Bis etwas kaputt geht!

Natürlich kann man jeden Sattel in der Kammer ändern. Hier mit den Folgen, dass beides Kopfeisen und Baum gebrochen sind!

Exempel: Ich komme zum Kunden weil der Sattel ständig nach rechts rutscht. Was habe ich für Alternativen, warum der Sattel zur Seite rutscht? In den einfachen Fällen, ist es die Polsterung die sich verschoben oder verändert hat. Vielleicht wurde der Sattel auch voriges Mal schief gepolstert, aber davon wollen wir nicht ausgehen. Die Polsterung wird vom Pferd und vom Reiter durch die Bewegung beeinträchtigt. Um so weicher die Polsterung, desto leichter kann sie sich verändern. Aber auch die Schiefe des Reiters und die des Pferdes kann eine Polsterung verändern. Hier brauche ich an und für sich nur die Polsterung wieder anpassen. Was aber wenn die Polsterung gleichmäßig und glatt ist?
Und jetzt kommen wir zu einer mehr komplizierten Ursachenforschung. Ist das Pferd grade oder hat es einen Befund in der Hüfte, dem Rücken oder den Beinen? Kann sich das Pferd richtig bewegen wie es soll oder wird es vom Sattel, Reiter oder der eigenen Anatomie behindert? Wird der Sattel überhaupt an der richtigen Position gesattelt oder wird er zu weit vorne gesattelt? Kann sich die Wirbelsäule biegen oder wölben wie sie soll? Wie sieht es an der Longe aus? Rutscht der Sattel auch ohne Reitergewicht oder nur mit? Geht das Pferd ansonsten sauber und wenn nicht, in welchen Gangarten geht es nicht sauber? Ist da ein Unterschied ob mit oder ohne Sattel, ob mit oder ohne Reiter, ob geritten, an der Longe oder auf der Koppel?
Wenn alles gut ist bis der Sattel und der Reiter drauf kommt, haben wir immer noch mehrere Alternativen, die das Rutschen verursachen können. Rutscht der Sattel mit der Zeit nach vorne und dann nach rechts oder setzt sich der Sattel direkt nach rechts? Rutscht der Sattel schon auf dem Weg zum Viereck sofort nach rechts oder erst wenn das Reitergewicht dazu kommt?
Viele dieser Fragen können die meisten Reiter gar nicht beantworten. Der Sattel rutscht nach rechts, also soll das Problem beseitigt werden! Für mich als Sattler ist es aber wichtig zu wissen warum der Sattel rutscht. Vergleichen kann ich es damit, dass meine Reifen am Auto schief verschleißen und ich bekomme nur neue Reifen drauf. Was ich aber brauche, ist eine Spureinstellung, so dass die neuen Reifen nicht wieder schief verschleißen. Als Sattler kann ich die komplette Polsterung austauschen, welches aber nicht das Problem lösen würde. Was aber das Problem lösen würde, wäre eventuell, dass ich die Kissen vorne senke, so das der Widerrist mehr Bewegungsfreiheit bekommt. Ich könnte die Strupfenführung ändern, so dass der Sattel nicht auf die Schulter rutscht. Ich könnte den Schwerpunkt mit dem Einbau eines Keils und eines zweiten Rückstoßes (eigentlich hinterer Vorstoß) ändern, so dass der Reiter, durch seinen falschen Sitz, nicht den Sattel nach vorne schiebt.

Kann das ein Sattelanpasser oder Händler? Da würde ich behaupten wollen, nein, das können sie nicht. Aus dem einfachen Grund, dass sie gar nicht wissen, was man so alles mit einem Sattel machen kann. Der Sattler schon, vorausgesetzt er mag sein Handwerk mehr als was er Sättel verkaufen will. Weil letztendlich ist es ja so, dass ich mehr Geld verdienen kann, wenn ich einen neuen Sattel verkaufe, als wenn ich den befindlichen Sattel umbauen würde. Und der Zeit- und Arbeitsaufwand vom Verkauf eines Sattels ist deutlich geringer als von einem Umbau!

Die Moral der Geschichte ist: Gibt es keine Sattler mehr, tauscht ihr nur noch eure Sättel aus! Ob einen Neuen oder einen Gebrauchten, ein anderer muss her!

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